Hogwarts Express

Dash zog mich mit in den Zug hinein und steuerte geradewegs das Abteil seiner Freunde an. Schon seit der ersten Klasse belegten sie immer dasselbe Abteil. Wir kamen an ein paar anderen Abteilen vorbei und in einem von ihnen saß ein blonder Junge alleine. Er wirkte ein wenig verloren hier. Ich beschloss, dass ich nachher auf meinem kleinen Rundgang bei ihm vorbeischauen würde. Immerhin war ich dieses Jahr Vertrauensschülerin von Gryffindor geworden.
Die Freunde von Dash wunderten sich nicht, dass ich dabei war. Ich war schon in meinem ersten Jahr in Hogwarts - also vor zwei Jahren in der vierten Klasse - ein gern gesehener Dauergast im Gemeinschaftsraum von Slytherin gewesen. Verwunderlich war es ja nicht. Immerhin war ich Nachfahrin von Salazar Slytherin. Deshalb hatten sich meine Eltern auch gewundert, dass ich in Gryffindor gelandet war, im Gegensatz zu meinen beiden großen Brüdern.
Wir wurden kurz begrüßt und dann setzte sich Dashian ans Fenster und zog mich auf seinen Schoß. Als er die Arme um mich legen wollte, schlug ich diese weg. "Du musst mich nicht ständig vor allem und jedem beschützen", versuchte ich ihn sanft zurecht zuweisen. Sein Beschützerinstinkt ging mir gerade auf die Nerven. Es waren doch nur seine Freunde. Er verdrehte die Augen. "Ist ja gut, Kleine", meinte er und begann eine Unterhaltung mit den Jungs.

"Ich muss nach vorne zum Vertrauensschülertreffen", teilte ich den Jungs nach einem Blick auf meine Uhr mit. Na das konnte ja was werden. Ich wusste gar nicht wer der andere Vertrauensschüler aus meinem Haus war, geschweige denn, wer aus den anderen Häusern diesen Posten bekommen hatte. Mit einer kurzen Umarmung von Dash und einem Winken verließ ich das Slytherinabteil und ging nach draußen auf den Gang. Ein paar übereifrige Schüler hatten schon ihre Umhänge an. Ich schüttelte verständnislos den Kopf. Ich freute mich ja auf die Schule, doch ich rannte nicht schon jetzt in meinem Umhang rum. So bequem war der auch wieder nicht. Ich kam wieder an dem Abteil mit dem blonden Jungen vorbei. Im Vorbeigehen musterte ich ihn kurz. Er sah wirklich gut aus. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Züge. Leider wirkte er so, als sei er sicher schon in der siebten Klasse. Und da ich ja nicht eines dieser Mädchen war, die sich jedem halbwegs gutaussehenden Jungen an den Hals warfen, ging ich einfach weiter in Richtung Lokomotive.

Hinter mir auf dem Gang hörte ich plötzlich Tiergeräusche und Stimmen. Ich drehte mich um. Das Treffen konnte ich wohl vergessen, ich war eh spät dran. Was soll's. Ich wusste wie der Job funktionierte danke Dashian und Jason. Den kleinen Tumult hatten ein Uhu und eine Katze veranstaltet. Die Stimmen kamen von dem blonden Typ, an dem ich schon zweimal vorbei gelaufen war und von... Nein, das kann nicht sein. Tom ist doch tot. Von einem Kerl, der ein genaues Abbild meines toten besten Freundes. Aber das konnte doch nicht sein. Hatte er etwa einen Sohn bekommen? Doch der wäre dann sicher nicht in meinem Alter. Ich verbarg meinen kleinen Schock geschickt hinter einem freundlichen Lächeln und stellte mich einfach mal zu den beiden ans Fenster. Ich freute mich schon sehr auf Hogwarts.

Ich musterte die beiden nochmal genauer und konnte mich dann an ihre Namen erinnern. Der eine - der Blonde - war Gideon Grindelwald aus meinem Haus und zwei Jahre über mir. Der andere, der Tom so ähnlich sah, war Nicolas Gaunt, Slytherin, und in meiner Jahrgangsstufe. Ich kannte ihn nur flüchtig aus dem Unterricht. Dass Gideon der Enkel von Gellert Grindelwald war, war mir auch bekannt, doch ich hatte mir schon vor langer Zeit abgewöhnt, Leute nach ihrer Herkunft zu beurteilen. Ich wollte ja auch nicht nach meiner Herkunft beurteilt werden, immerhin stammte ich von Merlin höchstpersönlich und Salazar Slytherin ab. Irgendwie war ich also auf Umwegen mit Nicolas verwandt. Der Name Gaunt war nämlich der der Nachfahren von Slytherin.
Ein leises Maunzen hinter mir ließ mich aufsehen. Leila hatte war mir als getigerte Katze mir nachgeschlichen. Ich lächelte leicht und nahm sie hoch. Sofort verwandelte sie sich in einen Albino Hasen, der besser auf meinen Arm passte, als eine Katze. Wie ich mein Hexentier doch liebte.
Gideon verschwand wieder in seinem Abteil und ließ mich mit Nicolas alleine.
"Hey", sagte ich freundlich zu Nicolas.

Puh, okay, sowohl Nicolas als auch Gideon schienen einen schwer zugänglichen Charakter zu haben. Das reizte mich an der Sache ungemein. Ich mochte es, mich mit Leuten anzufreunden, die eher nicht so viel Gesellschaft hatten und wie Außenseiter wirkten. Es war eine Art Herausforderung für mich und mein guter Wille zwang mich teilweise förmlich, das zu tun.
Nicolas' Ton war sehr abweisend und er sah so aus, als ob er mich loswerden wollte. "Wir sind im selben Jahr oder?", fragte ich ihn freundlich. Leila als Hase in meinen Armen musterte seinen Uhu aufs Genaueste. Auch der schien sehr an ihr interessiert zu sein, doch Nicolas lenkte ihn ab. Der Hase sprang von meinem Arm und unten auf dem Boden hockte nun ein kleiner, heller Labradorwelpe, der mich leicht anstupste. Ich ignorierte Leila. Sie wusste, dass ich bei Gesprächen nicht gestört werden wollte. Mein Blick wanderte zurück zu Nicolas und ich lächelte ihn leicht an. Die Frage war, ob dieses abweisende Verhalten Selbstschutz war oder ob er wirklich keine Gesellschaft wollte in diesem Moment.

Es war eindeutig eine Maske. Ich zuckte auf seine Aussage hin mit den Schultern. Ich gab - als eine von wenigen - nicht sonderlich viel darauf, in welchem Haus mein Gegenüber war. Es war doch viel interessanter nicht immer nur mit den altbekannten Leuten rumzuhängen, sondern auch Bande in anderen Häusern zu knüpfen. Und bei den Slytherins kam ich ja, wie ich aus Erfahrung wusste, ganz gut an. Mochte vielleicht auch daran liegen, dass ich vor etwa 40 Jahren ein ganzes Jahr in diesem Haus verbracht hatte.
"Na und?", sagte ich gleichgültig. "Dann bist du eben nicht in meinem Haus. Mir ist das egal."
Sein Uhu, der - wie ich nun wusste - Vol hieß, schien Leila zu mögen. Zumindest war er interessiert an ihr. Mit einem kleinen Lächeln beobachtete ich die beiden kurz. Sie stupste ihn leicht an.
"Auch wenn er in meinem Haus ist, heißt das noch lange nicht, dass ich ihn gut kenne", entgegnete ich Nicolas auf seine Frage hin. Mein Blick wanderte über meine Schulter in das Abteil von Gideon. Er las in einem schwarzen Buch und schien ganz davon gefesselt zu sein. Wahrscheinlich war es ein Zauberspruchbuch.